Drei Jahre lebte Mylène zwischen Hoffnung und Angst, Schmerzen und Zuversicht. In der Kunsttherapie konnte sie aufatmen, abschalten, Kraft schöpfen, hat sie ein neues Talent entdeckt.
Das ist ihr Bericht.
Im Januar 2016 erkrankte ich an akuter Lymphblastischen Leukämie (ALL). Die Diagnose traf mich schwer. Zehn Tage verbrachte ich im Kinderspital in Luzern, wo die Chemotherapie gestartet wurde. Der erste Block war ein Horror. Ich war ständig müde. Ohne Rollator zu gehen, war unmöglich, da meine Beine zu schwach waren. Häufig wurde mir übel. Ich konnte nur ganz wenig essen. In dieser Zeit nahm ich zehn Kilogramm ab und wurde intravenös ernährt. Den zweiten Chemoblock ertrug ich etwas besser. Doch die Erleichterung hielt nicht lange an. Schon kurze Zeit später, im Juli 2016 hatte ich meinen ersten Rückfall. In Luzern konnte man mir nicht mehr helfen. Ein Rückfall während der laufenden Chemotherapie ist eine sehr ungünstige Prognose für den weiteren Verlauf.
Im Zürcher Kinderspital folgte eine hochdosierte Chemotherapie. Eine Knochenmarktransplantation wurde ins Auge gefasst. Leider hatte ich im Oktober meinen zweiten Rückfall. Deshalb wurde ich mit der Immuntherapie Blinatumomab behandelt. Diese Therapie brachte mich endlich in Remission.
Im Kinderspital Zürich hatte ich etwa zweimal pro Woche Kunsttherapie. Ich habe mich jedes Mal sehr darauf gefreut. Wenn ich die Therapie verschlafen hatte, war ich enttäuscht und traurig.
Mitte November wurde ich Schritt für Schritt auf die Knochenmarktransplantation vorbereitet. Sie fand am 23. November 2016 statt. Die Chemotherapie zur Vorbereitung war so heftig, dass ich mich ständig erbrechen musste. Die Schleimhaut löste sich bis in den Magen ab. Ich konnte keine Nahrung mehr aufnehmen und litt unter sehr starken Schmerzen. Während fünfeinhalb Wochen wurde ich isoliert und intravenös ernährt.
Die Kunsttherapie hat mich vom Spitalalltag und von meiner Krankheit abgelenkt. Es war ein Stück Normalität, die in mein Zimmer zurückkam. Ein Lichtblick in den finstersten Stunden in meinem Leben.
Leider hatte ich im Februar 2017, nur drei Monate nach der Stammzelltransplantation, meinen dritten Rückfall. Wieder wurde Blinatumomab eingesetzt. Ab Mitte April bekam ich starke Rückenschmerzen und es bildete sich eine Beule an meinem Hinterkopf. Ein MRI wurde gemacht. Die Leukämie war aus dem Knochenmark ausgebrochen und hatte sich als Tumor klumpenartig an der Wirbelsäule und am Hinterkopf festgesetzt. Das war der vierte Rückfall. Ein weiterer Einsatz von Blinatumomab war nicht mehr möglich.
Ich habe es sehr geschätzt, dass Tanja Onorato auf meine Ideen eingegangen ist und mir Tricks zeigte, damit beim Zeichnen und Malen etwas Tolles entstehen konnte.
Nun gab es nur noch eine Chance: eine Car-T-Zellen-Therapie (CAR Chimeric Antigen Receptor) in Israel. Bei dieser Therapie werden zuerst die körpereigenen T-Zellen entnommen und im Labor gentechnisch verändert und vermehrt. Danach werden die Car-T-Zellen in den Körper zurückgeführt, wo sie die krebskranken Zellen zerstören. Voller Hoffnung flog ich Ende Mai nach Israel. Am 12. Juni 2017 hatte ich endlich meine Apherese (Blutreinigung). Wir hätten keine Woche länger warten können. Es war ein Kampf gegen die Zeit. Meine Leukämie breitete sich weiter aus. Ich hatte Lähmungserscheinungen an den Beinen. Am 22. Juni 2017 wurden mir 35 Millionen Car-T-Zellen zurückgegeben. Das ist sehr wenig. Normalerweise werden etwa 90 Millionen T-Zellen zurückgegeben.
Ich hatte starke Nebenwirkungen: Fieber bis zu 40 Grad, neurologisch bedingtes Zittern sowie starke Rücken- und Kopfschmerzen. Die Car-T-Zellen Rückgabe wurde sofort gestoppt, als ich einen neurologischen Anfall (epileptischen) hatte. Das war für alle Beteiligten sehr schwierig. Es war nicht klar, ob die Car-T-Zellen Rückgabe gereicht hatte, um die krebskranken Zellen zu zerstören.
Zurück in der Schweiz hatte ich viele verschiedene Untersuchungen. Das Abwarten der Resultate war sehr belastend und ich hatte jeweils grosse Angst. Zum Glück bestätigten die Untersuchungen, dass ich krebsfrei war. Die zweite Knochenmarktransplantation wurde vorbereitet.
Während der Kunsttherapie habe ich viele Bilder gemalt und Steine bemalt, welche ich in der Familie verschenkte. Ich hatte das Gefühl, dass ich damit meinen Eltern und meinen beiden jüngeren Brüdern Amon und Levi etwas zurückgeben konnte. Die Bilder stärken mich auch heute noch in meinem Alltag. Der Weg zurück ins Leben ist noch nicht ganz abgeschlossen, aber ich weiss, dass ich auch den Endspurt noch schaffen werde.
Bei der zweiten Transplantation bekam ich Knochenmark von einem neuen Spender. Diesmal dauerte die ganze Prozedur achteinhalb Wochen. Ich war dankbar, dass ich es nochmals in die Stammzelltransplantation geschafft hatte. Die Nebenwirkungen waren aber erneut so heftig, dass ich nur knapp an der Verlegung auf die Intensivstation vorbei kam. Am 1. November 2017 konnte ich nach Hause. Seither bin ich krebsfrei.
Vor der Kunsttherapie wusste ich gar nicht, wie toll es ist, zu malen und künstlerisch zu gestalten. Meine Erfahrungen waren diesbezüglich nicht die besten. Schön, dass ich eines Besseren belehrt wurde.
Derzeit werde ich zu Hause unterrichtet. Ab August 2018 nehme ich wieder am Unterricht an der Kantonsschule teil.
Ich wünsche mir, dass dieses Angebot Kunst- und Ausdruckstherapie unbedingt weitergeführt wird. Ich hätte am liebsten jeden Tag Kunsttherapie gehabt. Die Therapie hat mir den Alltag im Spital sehr erleichtert und brachte eine tolle Abwechslung. Ich habe es auch sehr geschätzt, dass ich dabei nicht unbedingt sprechen musste, da mir manchmal das Sprechen schwer viel.
Danke, dass es euch gibt.
Mylène Wüest