Stiftung Chance für das kritisch kranke Kind

Wenn der Alarm kommt ...

… erhöht sich der Puls von Prof. Dr. med. Bernhard Frey, Chefarzt Intensivmedizin am Kinderspital Zürich, auch noch nach 30 Jahren. Eine Woche vor seinem letzten Arbeitstag findet er Zeit für einen Rück- und Ausblick.

Wie ist das, wenn Sie den Helikopter zum Kispi heranfliegen hören – machen Sie sich auf den Weg zum Schockraum?

Schon vorher! Wenn der Rega-Heli auf dem Dach landet, ist das interdisziplinäre Team aus Intensivmedizin, Intensivpflege, Notfallmedizin, Anästhesie und Chirurgie im Schockraum bereits eingetroffen. Dann haben wir erste Informationen über den Patienten bekommen, kennen sein Alter, die Art des medizinischen Problems, haben sichergestellt, dass alle Geräte einsatzbereit sind. Im letzten Jahr betreuten wir im Schockraum 136 Patientinnen und Patienten, das sind zwei bis drei Einsätze pro Woche. Wir sind ein grosses Team aus rund 150 Expertinnen Intensivpflege und 40 Ärztinnen und Ärzten.

Wie muss man sich den Ablauf vorstellen?

Als Intensivmediziner habe ich im Schockraum den Lead. Dabei hilft mir meine lange Erfahrung. Ich sehe rasch, wo das Problem liegt. Und natürlich geht es dort ziemlich militärisch zu. Wenn alle unter Druck sind, braucht es jemanden, der den Überblick behält und die Anweisungen geben kann. Kritisch kranke Patienten können frühgeborene Babys sein oder junge Erwachsene – von 0 bis 18 Jahren, 500 Gramm bis 100 Kilogramm.

bernhard frey

Was genau macht ein Intensivmediziner?

Intensivmediziner sind Generalisten und gleichzeitig Spezialisten. Wir behandeln kritisch kranke Kinder und nicht ein einzelnes Organ. Ich habe mich bewusst für Kinderintensivmedizin entschieden, weil mich die Vielfalt des medizinischen Spektrums angesprochen hat und auch die Herausforderung. Mich faszinierte dieses Fokussieren auf die akute Notsituation, wo mit schnellem, gezieltem Handeln geholfen werden kann. Eine gut funktionierende Intensivstation zeichnet sich durch Ruhe aus, weil gut überwacht wird und deshalb frühzeitig interveniert werden kann. Trotzdem gibt es auch immer wieder traurige Situationen. Von den rund 1400 Kindern, die das Kispi pro Jahr auf den Intensivpflegestationen betreut, sterben etwa 40. Jedoch erleben wir Tag für Tag glückliche, dankbare Patienten und Familien. Das ist das Schöne an diesem Beruf – auch nach 30 Jahren noch. 

Wie hat sich die Intensivmedizin verändert in den letzten Jahrzehnten?

Früher war es so, dass ein Kind mit einem «Ein-Organ-Problem» zu uns kam. Es litt beispielsweise an einer Lungenentzündung. Heute, da kritisch kranke Neugeborene und grössere Kinder auch mit schwierigen Erkrankungen überleben, sind sie oft grundsätzlich weniger gesund. Rund 70% der Kinder, die auf die IPS kommen, bringen schon eine chronische Krankheit mit. Das akute Problem kommt dann zusätzlich hinzu. Im Neubau des Kinderspitals in Zürich Lengg werden wir dafür noch besser aufgestellt sein. Ich konnte bei der Planung mitarbeiten. Die dortige IPS wird wegweisend: mehr Platz, mehr Plätze, mehr Privatsphäre, aber auch ein sehr hohes technisches Niveau bezüglich der ganzen Infrastruktur.

Dann gehen Sie also beruhigt in den Ruhestand?

Bis mein Nachfolger eintrifft, übernimmt die Stiftungsratspräsidentin der Chance, meine geschätzte Kollegin Barbara Brotschi als Chefärztin Intensivmedizin und Neonatologie. Was mir Sorgen macht, ist die Personalfrage bei den Expertinnen Intensivpflege. Denn was nützt das bestausgerüstete Spital, wenn die Fachfrauen fehlen, welche die Geräte bedienen und überwachen können?

Fehlt es an der Wertschätzung?

Wir arbeiten in der Intensivpflege und -medizin interprofessionell sehr teamorientiert, kollegial und ohne Hierarchien. Die Schweizerische Gesellschaft für Intensivmedizin ist bezeichnenderweise die einzige medizinische Vereinigung, bei der Mediziner und Pflegende in einer gemeinsamen Organisation zusammengeschlossen sind. Die Arbeit auf unseren zwei Intensivpflegestationen und der Neonatologie ist aber nicht nur physisch, sondern auch psychisch belastend. Sicher ein Thema sind die Nacht- und Wochenenddienste. Und dann ist da natürlich die Frage der Anerkennung und Bezahlung der Expertinnen Intensivpflege. Ich denke, da müsste man ansetzen.

Nach vielen Jahren in der Intensivmedizin, unter dem ständigen Druck, Leben zu retten, folgt jetzt die Pensionierung. Sind Sie vorbereitet?

Ich habe keine Pläne, lasse es auf mich zukommen. Meine Frau fand, ich könnte den Haushalt führen und kochen.

Sie gehen im Alter von 62 Jahren.

Unter meinen Kolleginnen und Kollegen gibt es niemanden, der als Intensivmediziner bis 65 Jahre an der Front gearbeitet hätte. Ausserdem wollte ich gehen, solange ich mich noch fit fühle und auch noch etwas Neues im medizinischen Bereich angehen kann. 

Interessant! – Was wäre das?

Mein Traum war es immer, eine Zeit in einem weniger privilegierten Land tätig zu sein. Ein Einsatz für die Médecins Sans Frontières könnte ich mir vorstellen.

Die Stiftung Chance dankt Bernhard Frey herzlich für die jahrelange, ausgezeichnete Zusammenarbeit und wünscht ihm einen erfüllenden Ruhestand.



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