Stiftung Chance für das kritisch kranke Kind

Meine Arbeit ist nicht nur traurig

Die Psychologin Rosanna Abbruzzese hat mitgeholfen, im Kinderspital Zürich die Pädiatrische Palliative Care aufzubauen. Als Mitglied des Care Teams, welches die Stiftung Chance finanziert, betreut sie Eltern, die ihr Kind verloren haben.

Frau Abbruzzese, welche Aufgaben hat die PPC?

Die Pädiatrische Palliative Care steht Kindern und Jugendlichen bei, die an einer lebensverkürzenden Krankheit leiden. Unsere Unterstützung bieten wir selbstverständlich auch deren Angehörigen an.

Wie betreuen Sie diese Kinder?

Die Mitarbeitenden in unserem Team versuchen die Kinder und Jugendlichen dort abzuholen, wo sie Hilfe benötigen. Es kommt vor, dass ein Kind seinen bevorstehenden Tod ansprechen kann. Die Auseinandersetzung mit dem Thema ist aber auch auf andere Weise möglich. Ich berichte beispielsweise von anderen betroffenen Kindern und erkläre, wie es denen ergeht, wie sie sich fühlen. Das kann dem Kind helfen, seine eigenen Gefühle wahrzunehmen und zuzulassen.

Wie sind Sie zu dieser schwierigen Aufgabe gekommen?

Ich habe 1993 als Psychologin ein Praktikum im Kinderspital Zürich gemacht und später auf der Onkologie des Kinderspitals Patientinnen und Patienten und immer auch deren Eltern betreut. 2008 wurde das PPC konzipiert. Damals wurde ich auch vom Care-Team in Kinderspital Zürich angefragt, ob ich mitarbeiten wolle.

Wie sieht Ihre Arbeit beim Care-Team aus?

Meine Arbeit umfasst einerseits das, was alle Mitarbeiterinnen im Care-Team leisten. Wir betreuen Eltern in der akuten Notsituation, wenn ihr Kind im Kinderspital Zürich stirbt oder gestorben ist. Darüber hinaus ist es meine Aufgabe, Trauerbegleitung anzubieten.

Wie muss man sich das vorstellen?

Ein Kind zu verlieren ist die schlimmste Traumatisierung, die es gibt. Ich werde oft gefragt, wie ich es aushalte, mit so viel Leid, Trauer und Schmerz konfrontiert zu sein. Ehrlich gesagt, empfinde ich meinen Beruf als bereichernd. Ich erlebe Menschen, die mich an ihren traurigsten, schlimmsten Momenten teilhaben lassen, denen ich in diesen furchtbaren Momenten beistehen, etwas geben kann.

Wie können Angehörige ihre Trauer bewältigen?

Leider ist es so, dass ich die Trauer nicht wegzaubern kann. Den schmerzhaften Weg durch die Trauer müssen Eltern und Geschwister allein gehen. Wichtig ist, dass ich den Schmerz über den Verlust mit ihnen aushalten kann und an ihrer Seite bleibe.

Werden Sie nicht ebenfalls überwältigt von den Gefühlen?

Ich bin, wenn ich mit Eltern, ob allein oder zu zweit, Gespräche führe, hochkonzentriert und kognitiv. Ich höre ihre Geschichte, nehme Anteil, nehme ihre Gefühle wahr, versuche herauszufinden, was die Eltern in diesen Momenten brauchen, an Gegenwart, Unterstützung, Antworten. Ich weine eher, wenn ich zu Hause entspannt bin und im Fernsehen von einem verstorbenen Kind höre. Vielleicht ist es kein Zufall, dass ich selbst keine Kinder habe. Einige Kolleginnen haben aufgehört in diesem Bereich zu arbeiten, als sie Mütter wurden.

Wie schwierig ist die professionelle Abgrenzung?

Meine Arbeit bedingt, dass ich die richtige Balance finde. Es braucht einerseits einen gesunden Abstand, der auf dem Bewusstsein basiert, dass ich den Eltern ihre Trauer nicht abnehmen kann, und andererseits braucht es grosse Empathie für die Situation. Entscheidend ist auch, dass ich keine Berührungsängste mit dem Thema Tod habe. Das war bei mir schon als Kind so, als ich mit meiner Grossmutter häufig über den Tod meines Grossvaters sprach.

Wie spricht man mit einem Kind über seinen bevorstehenden Tod?

Die Frage ist auch immer wieder, ob man überhaupt darüber sprechen soll. Eine Norwegische Studie hat Eltern dazu befragt. Zwei Drittel gaben an, nicht mit ihren Kindern über deren Sterben gesprochen zu haben. Von dem einen Drittel der Eltern, welches das Thema verbal angesprochen hatte, bereute niemand, diese Gespräche geführt zu haben. Von den zwei Dritteln, die nicht mit ihren Kindern geredet hatten, bereuten es 25%. Aber natürlich, es ist schwierig, einem Kind in die Augen zu sehen, wenn man mit ihm über seinen Tod spricht.

Wie gehen Kinder mit dieser Nachricht um?

Das ist ganz unterschiedlich, kommt auch aufs Alter an. Und es kommt immer wieder vor, dass die Kinder weniger Angst vor dem Tod haben, als dass sie sich Sorgen um ihre Eltern machen, die sehr traurig und allein sein werden. Hier versuche ich zu beruhigen und erkläre, welche Angebote es gibt, mit denen den Eltern geholfen werden kann.

Wie lange nehmen Eltern eine Trauerbetreuung in Anspruch?

Im ersten Jahr nach dem Tod des Kindes sind die Besuche meist wöchentlich. Im zweiten Jahr läuft die Betreuung langsam aus.

Kann die Trauer um ein verstorbenes Kind je aufhören?

Früher war das der Ansatz. Man sagte den Eltern, dass sie loslassen, abschliessen müssten. Heute geht die Betreuung eher in die Richtung, dass die Eltern eine neue Art der Beziehung zu ihrem verstorbenen Kind finden können. Das geht in spirituelle Bereiche, andere Bewusstseinsebenen. Ich keine kaum eine Familie, die nicht die Erfahrung gemacht hätte, dass sie ihrem Kind auf die eine oder andere Weise weiterhin nahe sein kann.



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