Stiftung Chance für das kritisch kranke Kind

Gerettet von der Herzlungenmaschine

Die Stiftung Chance für das kritisch kranke Kind ist auch im Bereich Forschung und Weiterbildung aktiv. Sie hat die Ausbildungen der Pflegenden an der ECMO Herz-Lungenmaschine finanziert.

Sie ist schmal, gross, blickt mit noch grösseren Augen in die Welt und wiegt 39 Kilogramm. Anne-Sophie, die begeisterte Leichtathletin, war schwer krank. Dass sie wieder länger sitzen kann, ist ein Erfolg. Es geht aufwärts. Sie hat drei Kilogramm zugenommen. Noch gehorchen ihr die Füsse nicht. Aber am zweiten Sonntag im Mai ist sie vierzehn Jahre alt geworden. Ein Geschenk.

Anfang Februar, kurz vor den Sportferien, ist Anne-Sophie morgens müde. Sie hat leichtes Fieber und Gelenkschmerzen. Anne-Sophies Mutter vermutet eine Erkältung. Das Mädchen bleibt zu Hause. Abends hat sich der Zustand verschlechtert. Anne-Sophie fühlt sich schwach. Sie friert trotz Decke. Ihre Haut erscheint eigenartig käsig. Die Eltern stecken Anne-Sophie zum Aufwärmen unter die Dusche. Ihnen fällt auf, dass Hände und Füsse ihrer Tochter blau sind.

Man wägt ab, fährt schliesslich in die Notaufnahme des Triemlispitals in Zürich, wo man sich auf eine längere Wartezeit einstellt. Doch schon im Eingangsbereich wird eine Ärztin auf Anne-Sophie aufmerksam, die so schwach ist, dass sie von ihren Eltern gestützt werden muss. Die Ärztin schlägt Alarm. Minuten später ist bereits ein Team von Ärztinnen und Ärzten verschiedener Fachgebiete bei Anne-Sophie im Behandlungsraum. Das Team arbeitet konzentriert Checklisten ab, um die Ursache für Anne-Sophies höchst kritischen Zustand zu diagnostizieren. Es werden Antibiotika verabreicht, die gegen verschiedene mögliche Ursachen wirken. Zwei Stunden später wird Anne-Sophie von der Ambulanz unter Blaulicht ins Kinderspital Zürich verlegt.

Auf der Intensivstation des Kispi wird Anne-Sophie von Oberarzt Markus Deisenberg betreut. Klar ist bisher nur, dass Anne-Sophies Herz schwach ist. Man wartet auf Laborresultate, um eine mögliche Hirnhautentzündung zu bestätigen oder auszuschliessen. Anne-Sophies Zustand stabilisiert sich. Der Vater fährt am frühen Morgen nach Hause, kümmert sich um Anne-Sophies älteren Bruder. Er kehrt ins Kinderspital zurück. Hier wird fieberhaft nach der Ursache von Anne-Sophies Erkrankung gesucht. Ein Grippevirus scheint der Auslöser zu sein. Anne-Sophie bekommt hochdosierte Mengen Antibiotikum. In der zweiten Nacht scheint sich ihr Zustand schliesslich zu verbessern. Die Eltern fahren nach Hause. Um 22.45 Uhr kommt der Anruf des Kinderspitals: Anne-Sophies Zustand hat sich dramatisch verschlechtert. Der Grippevirus hat das Herz angegriffen.

Ecmo Anne Sophie, Lungenmaschine

Wieder im Kinderspital, werden die Eltern vom Ärzteteam informiert, dass Anne-Sophie an die ECMO, die Herzlungenmaschine, angeschlossen werden soll. Der Zeitpunkt des Anschliessens sei jedoch entscheidend, dürfte keinesfalls zu früh, aber auch nicht zu spät gewählt werden. Die Fachleute wägen ab, beraten sich, Testergebnisse werden vergleichen, jede Viertelstunde scheint sich die Situation zu verändern. Der Oberarzt möchte anschliessen. Sein Kollege, der Kardiologe Hitendu Dave, empfiehlt das Zuwarten. Dann ist der Entscheid da und jetzt muss alles schnell gehen. Für die Anne-Sophies Eltern beginnt das nervenaufreibende Warten, während die Ärzte den Eingriff vornehmen. Sie sitzen abgeschirmt im Elternzimmer auf der Intensivstation. Eine Pflegefachfrau hält sie auf dem Laufenden. Nach einer Stunde ist der erste Gefässkatheter der ECMO platziert. Eine gute Nachricht. Aber nur ein Etappenziel. Eine weitere, bange Stunde vergeht. Die Eltern warten. Dann ist auch der zweite Katheter sicher eingeführt. Anne-Sophie wird auf die Intensivstation des Universitätsspitals Zürich verlegt. Im Kinderspital sind alle Überwachungsplätze belegt.

Reto Schüpbach, Direktor des neu gegründeten Instituts für Intensivmedizin, empfängt die Eltern im Universitätsspital. Er wählt seine Worte vorsichtig. Anne-Sophie könne jeden Moment «davonfliegen».

Es war ein «intensives» Gespräch, erinnern sich die Eltern. Eine Untertreibung für Angst,  Entsetzen, Ohnmacht. Aber Anne-Sophie verträgt gut, dass die ECMO ihre Herz- und Lungenfunktionen übernimmt. Ihr Zustand stabilisiert sich. Nun steht die Frage im Raum, was der Sauerstoffmangel, den sie durch die Unterfunktion von Herz und Lunge erlitten hat, bewirkt haben mag. Die Speiseröhre ist stark in Mitleidenschaft gezogen. Anne-Sophie kann nicht mit einer Magensonde, sondern muss intravenös ernährt werden. Sie ist sediert, nicht ansprechbar, wird beatmet.

Nach acht Tagen auf der Intensivstation des Universitätsspitals folgt ein nächster banger Moment. Die ECMO ist nicht mehr nötig. Sobald die Katheter entfernt sind, übernehmen Anne-Sophies Herz und Lunge wieder ihre Funktionen. Die Eltern bereiten sich aufs Aufwachen von Anne-Sophie vor. Was wird von ihr noch da sein?

Anne-Sophie wacht aus der Narkose auf. Zuerst langsam, dann reisst sie sich selbst den Beatmungsschlauch heraus. Und: Sie reagiert auf die Bitte, das rechte Auge zu öffnen, zeigt damit, dass sie versteht. Den Eltern fällt ein Stein vom Herzen. Anne-Sophie kann vom Unispital zurück ins Kinderspital verlegt werden. Ihre Eltern feiern diesen Moment mit einem Pizzaessen.

Fest steht, dass Anne-Sophie von einem Grippevirus betroffen war, der nicht wie üblicherweise zu Fieber, Husten und einer triefenden Nase führte, sondern sich gegen Herz und Lunge gewandt hat. Ein aussergewöhnliches Phänomen.

Weitere zwei Wochen später ist die Speiseröhre verheilt und Anne-Sophie darf wieder normal essen und trinken. Als Erstes wünscht sie sich ein grosses Glas Eistee. Sie wird vom Kinderspital in die Reha-Klinik des Kinderspitals nach Affoltern am Albis verlegt. Die vergangenen Wochen haben sie 14 Kilogramm Muskelmasse gekostet. In der Reha sind täglich viele Therapiestunden angesagt. Physio- und Ergotherapie stärken die Muskeln, unterstützen die Bewegungen des rechten Armes, der noch schwach ist.

Anne-Sophie und ihre Eltern haben einen Albtraum erlebt und durchgestanden. Anne-Sophie ist eine Kämpferin, hat einen harten Kopf. «Typisch Stier», wie der Vater schmunzelt. Das habe ihr geholfen, sind sich auch die Ärztinnen und Ärzte sicher. Dass es in ihren Füssen kribbelt, ist ein gutes Zeichen. Anne-Sophie will wieder ohne Hilfe gehen können. Nach den Sommerferien möchte sie zurück in ihrer Klasse sein, spätestens nach den Herbstferien. Aber zuerst feiert Anne-Sophie erst einmal ihren Geburtstag. Ihre Freundinnen kommen zu Besuch.

Was ist ECMO?

Die Abkürzung ECMO steht für Extrakorporale Membranoxygenierung und bezeichnet ein Verfahren, bei dem Herz- und Lungenfunktionen von einem Gerät unterstützt oder ganz übernommen werden. Wenn die Lunge «versagt», wird das Blut nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt und von Kohlendioxid befreit. Das ist akut lebensbedrohend. Hirn und andere wichtige Organe können schweren Schaden nehmen. Die ECMO pumpt über einen grossen Gefässkatheter kontinuierlich Blut aus dem Körper des Patienten. Das Blut wird ausserhalb des Körpers mit Sauerstoff angereichert und vom Kohlendioxid befreit. Danach gelangt es über den zweiten Gefässkatheter wieder in den Körper zurück.



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