Stiftung Chance für das kritisch kranke Kind

Bange Momente um Zwillinge

Zwillinge, die, extrem früh geboren, je nur 730, bzw. 790 Gramm wiegen und deren Leben auf der IPS des Universitätsspitals und des Kinderuniversitätsspitals Zürich gerettet werden: Die Geschichte von Elia und Leon.

Bis zur 22. Woche verläuft die Schwangerschaft von Janine problemlos. Die Eltern freuen sich auf ihre Zwillingsbuben. Dann wird festgestellt, dass sich bei Janine der Muttermund geöffnet hat. Mittels Cerclage, wird er verschlossen. Janine stellt sich darauf ein, es die nächsten drei Monate etwas ruhiger angehen zu lassen. 

In der 24. Schwangerschaftswoche wird die Lungenreife der beiden Buben mit Kortison vorangebracht. Eine Woche später, am 5. August, dem Geburtstag von Janine, setzen Blutungen und Wehen ein. Mit ihrem Mann fährt sie nachts ins Kantonsspital Aarau und bekommt Wehenhemmer. Aufgrund von Platzmangel wird die Schwangere ins Universitätsspital Zürich verlegt. Zum Glück!

Als Janine dort morgens um 3 Uhr eintrifft, wird ein Infekt in der Gebärmutter diagnostiziert. Und plötzlich geht alles sehr schnell. Die Eltern erfahren, dass man ihre beiden Zwillingsbuben sofort holen muss. Sie sind gerade einmal 25 Wochen und fünf Tage alt.

Vor der 24. Schwangerschaftswoche haben Extremfrühgeborene kaum Überlebenschancen.

Elia kommt um 08:16 Uhr zur Welt, Leon eine Minute später. Es ist der 6. August. Die Zwillinge sind drei Monate zu früh geboren. Beide werden in den Inkubator (Brutkasten) gelegt, intubiert (künstlich beatmet) und sollen über eine Magensonde ernährt werden. Allerdings scheitert der Versuch, bei Elia eine Magensonde einzulegen. Es stellt sich heraus, dass seine Speiseröhre in einem Stumpf endet. «Ösophagusatresie» bezeichnet Fehlbildungen der Speiseröhre, wie sie bei einem von 2500 bis 4000 Neugeborenen vorkommen. Buben sind etwas häufiger betroffen als Mädchen. Speiseröhrenfehlbildungen werden in verschiedene Typen unterteilt. Elia leidet unter Typ IIIb, der häufigsten Form, bei welcher der obere Teil der Speiseröhre in einem Stumpf endet und der untere Teil über eine Fistel mit dem Magen verbunden ist.

Bevor Elia ins Kispi verlegt wird, sieht ihn Janine auf der IPS des USZ zum ersten Mal.

Die Fistel muss als erstes verschlossen werden, damit keine Luft in den Magen gelangt. Weil das Kinderuniversitätsspital auf Frühgeborene mit angeborenen Missbildungen spezialisiert ist, wird Elia noch am gleichen Nachmittag ins Kispi verlegt. Dort übernehmen PD Dr. med. Barbara Brotschi und der Chirurg PD Dr. med. Ueli Möhrlen den kleinen Patienten. 72 Stunden nach seiner Geburt wird Elia zum ersten Mal von Ueli Möhrlen operiert. Der Eingriff ist durch die Extremfrühgeburtlichkeit mit hohen Risiken verbunden. Er gelingt. Nun bangen Eltern und Ärzteteam, dass die Werte des Kleinen stabil bleiben.

Elias Überlebenschance auf 50% geschätzt.

An seinem 16. Lebenstag wird Elia zum zweiten Mal operiert. Dieses Mal wird ein Katheter für die Ernährung direkt durch die Bauchwand in den Magen gesetzt. Bis jetzt wurde Elia parenteral, also mit Nährstoffen direkt ins Blut versorgt. Der Speiseröhrenstumpf soll in einer späteren Operation mit dem Magen verbunden werden. Dies würde bei einem termingeborenen Kind üblicherweise in den ersten Lebenstagen gemacht. Bei Elia will der Chirurg Ueli Möhrlen warten, bis er etwa drei Kilogramm schwer ist. Elia muss «nachreifen». Das Team geht davon aus, dass dieser Entwicklungsschritt rund zwei Monate dauern wird. Für diese Zeit kehrt er zurück ins Universitätsspital, wo er mit seinem Bruder Leon zusammentrifft. Leon hat sich inzwischen gut entwickelt. Im Alter von 14 Tagen wurde bei Leon eine Verbindung vom Lungen- zum Körperkreislauf in einer Operation verschlossen. Diese Verbindung wird intrauterin (in der Gebärmutter) gebraucht, nach der Geburt sollte sich diese Verbindung verschliessen. Besteht sie weiter, schadet sie der Herzfunktion. Diese Operation ging fast unter, bei den Sorgen, die sich die Eltern um Elia machten. Leon wird am 2. November aus der Neonatologie des Universitätsspitals Zürich entlassen, bzw. wechselt zu den Eltern, die inzwischen in der Nähe des Kispi ein Elternstudio gemietet haben.

Die Eltern leben im Elternzimmer, pendeln zwischen Unispital und Kispi, tauschen jeden halben Tag den Platz am Bett ihrer Söhne.

Elias dritte Operation findet am 19. November statt. Der Speiseröhrenstumpf wird operativ gedehnt und mit dem Magen verbunden. Weil die beiden Enden stark gezogen werden müssen, dauert es länger, bis sich die Naht verschliesst. Geduld ist gefragt, denn Elia muss in dieser Zeit flach liegen, darf nicht aus dem Bettchen genommen werden. Eine harte Zeit für die ganze Familie, auch für Zwillingsbruder Leon, der nach den sieben gemeinsamen Wochen im USZ seinen Bruder vemisst. Die Eltern legen Leon häufig zu Elia ins Bettchen. Die Brüder geben sich gegenseitig Halt. Mitte Januar ist die Speiseröhre bei Elia endlich vernarbt. Eine Drainage saugt überschüssigen Speichel ab. Elia kann und soll schlucken, damit später die Ernährung über die Speiseröhre klappt. Die Ernährung wird weiter durch eine Sonde durch die Bauchwand in den Magen gewährleistet.

Glückliche Baby-Momente: Die Musiktherapeutin der Stiftung Chance summt für Elia.

Ende Februar steht die vierte Operation für Elia an. Der enge Durchgang der Speiseröhre wird erweitert und gleichzeitig eine Leistenhernie operiert.  Auch diese Operation übersteht Elia ohne Zwischenfälle. Zwei Wochen später darf er – endlich – nach Hause.

Bange Momente um Zwillinge

Die Eltern von Elia und Leon haben schwierige sieben Monate und zehn Tage hinter sich. Sie sind überglücklich, dass alles, wie sie kaum zu hoffen wagten, gut gegangen ist. Natürlich ist der Alltag zu Hause anstrengend. Doch die beiden Buben entwickeln sich sehr gut. Und Elia holt auf, was er durch die Operationen, das lange Liegen, verpasst hat. Die Eltern sind inzwischen Experten auf dem Gebiet der Speisenröhrenfehlbildungen. Trotzdem sind sie froh, dass sie einen Rat von Anfang an beherzigt haben. Barbara Brotschi hatte ihnen gleich am ersten Tag empfohlen: «Auf keinen Fall zum Thema googlen!»



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